Storytelling ist nicht gleich Storytelling. Wer sich mit dem Erzählen von Geschichten fürs Marketing beschäftigt, wird feststellen, dass sich Storytelling bedingt durch digitale Kanäle und Verbreitungsmöglichkeiten in verschiedene Arten verzweigt, die sich teilweise wiederum überlappen. Mit den folgenden Abschnitten können Sie sich einen kurzen Überblick über die einzelnen Formen verschaffen.
Traditionelles oder lineares Storytelling
Eine Geschichte wird in der Regel von einem Autor beziehungsweise Erzähler chronologisch der Reihe nach erzählt. Traditionelles Storytelling ist also linear strukturiert (im Gegensatz zum nicht-linearen Erzählen, bei dem der Leser selbst über die Reihenfolge entscheidet). Falls mehrere Handlungsstränge vorhanden sind, so werden diese ebenfalls in einer logischen Reihenfolge erzählt.
Das Format für lineares Storytelling kann sowohl in Textform sein (Aphorismus, Kurzgeschichte, Erzählung, Roman etc.) als auch in Form von Bildern oder in Mischform (erzählendes Einzelbild, Comicgeschichte, Fotoroman, TV- oder Kinofilm etc.), die Geschichte ist jedoch stets beschränkt auf dieses eine Format.
In der Regel wird die Geschichte gedruckt oder als Film veröffentlicht. Der Erzähler ist damit weit entfernt vom Leser oder Betrachter und Rückfragen an den Erzähler sind nicht ohne weiteres möglich. Mit interaktiven Medien (z.B. die Kommentarfunktion in Webseiten und Social-Media-Kanälen) kann das Publikum eine Geschichte kommentieren oder Fragen stellen – und natürlich erwartet das Publikum auch eine Antwort darauf. Daraus kann sich ein Dialog oder auch ein Austausch in einem größeren Kreis ergeben.
Nicht-lineares Erzählen
Mit der Entwicklung des Internets entwickelte sich auch die Textform des Hypertexts. Ein Text kann 1:1 ins Internet übertragen werden, indem die lineare Reihenfolge beibehalten wird (wie das lineare Erzählen in einem Buch, das Seite für Seite gelesen wird). Sogar ein längerer Text kann von Anfang bis Ende auf einer Webseite hinterlegt werden, der Leser kann schließlich endlos nach unten scrollen. Ein längerer Text lässt sich aber auch aufteilen und linear anlegen, indem am Ende jeder Seite ein Link zur nächsten Seite führt. Auch in diesem Fall ist die Reihenfolge fest vorgegeben, das Erzählen bleibt auch im Internet zunächst linear.
Mit dem Hypertext jedoch wird das lineare vom nicht-linearen Erzählen abgelöst. Einzelne Wörter oder Passagen im Text können als ‚Hyperlinks’ (gebräuchlicher ist inzwischen die Kurzform ‚Links’) auf andere Webseiten verweisen oder auf verknüpfte Audio- oder Videodateien mit ergänzenden Informationen. Der Leser hat die Wahl, ob er dem Haupttext folgen will oder ob er zwischendurch vertiefende oder ergänzende Informationen in Form von Texten, Audiodateien, Bildern oder Videos aufrufen will.
- Um diese aufgelöste Strukturierung zu veranschaulichen hier ein Beispiel: Sie könnten das Leben eines nahestehenden Menschen erzählen und verlinken am Anfang des Texts auf die Mutter, später auf den Vater und im weiteren Verlauf noch auf andere Familienmitglieder wie Onkel, Tante und die Großmutter.
Die meisten Leser werden dem Haupttext wie vorgegeben folgen, aber einige Leser klicken sich durch zu den Hintergrundinfos über die Mutter (von dort wird auch weiterverlinkt) und lesen dann im Haupttext weiter, lassen vielleicht den Vater aus, stöbern nach der einen Tante und der Großmutter (auch gibt es weitere Abzweigungen), aber dem Link zu Onkel folgen sie nicht.
Andere Leser lassen den Link zu Mutter links liegen, interessieren sich aber für die Infos zum Vater (mit Abzweigungen), werfen einen kurzen Blick auf Onkel und Tante (auch hier gibt es Links zu weiteren Bild- oder Textmaterialien oder zu anderen Personen, denen der Leser folgen könnte), aber die Infos zur Großmutter lassen sie aus.
Das bedeutet: Der Leser einer nicht-linearen Geschichte kann zielgerichtet einem geplanten Pfad oder einer Suche folgen, er kann sich aber auch von zufälligen Impulsen gesteuert durch die verschiedenen Links treiben lassen.
Das bedeutet auch: Jeder Leser liest den Text mit all seinen Abzweigungen anders. Und damit nimmt jeder Leser auch andere Informationen auf, auch deshalb weil nur wenige Leser sämtlichen Links folgen. Das beste Beispiel dürften die Inhalte hier sein, die ursprünglich für das lineare Lesen im Buch „Storytelling für Dummies“ geplant waren, aber aus Platzgründen aus dem Manuskript gekürzt worden sind.
Lineares Lesen über mehrere Webseiten ist prinzipiell zwar noch möglich, aber in den meisten Fällen stellen sich Leser die angebotenen Inhalte ganz individuell zusammen – wer etwas veröffentlicht, wird letzten Endes nicht wissen, welche Inhalte die Leser in welcher Reihenfolge aufnehmen.
- Übrigens gab es nicht-lineares Erzählen bereits vor dem Internet. Einige Schriftsteller haben mit nicht-linearem Erzählen in Buchform experimentiert. Ein frühes Beispiel in der Literaturgeschichte ist „Tristram Shandy“ von Laurence Sterne. Hier kündigt Tristram Shandy immer wieder an, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Stattdessen zweigt er immer wieder in einzelne oder Episoden aus seiner Kindheit oder aus der Familiengeschichte ab und folgt bei den einzelnen Episoden ebenfalls weiteren Abzweigungen. Der Autor führt den Leser aber mit Absicht an der Nase herum und das Buch endet, ohne dass die angekündigte Lebensgeschichte erzählt worden ist (was damals für einen Aufschrei sorgte).
- Ein jüngeres Beispiel für non-lineares Erzählen ist die Form des Lexikonromans wie Milorad Pavics „Chasarisches Wörterbuch“, das es zudem in einer männlichen und in einer weiblichen Ausgabe gibt. Hier setzt sich der Leser seinen Text durch die von ihm gewählte Abfolge der Wörterbucheinträge ganz individuell zusammen. Neuerdings bietet auch die Literatur für Kinder und Jugendliche aufgesplittete Geschichten, bei denen der Leser entscheiden kann à la: Wenn Du denkst, der Held macht dies, dann lies auf Seite xy weiter. Wenn Du der Meinung bist, der Held macht das, dann geht es auf Seite xz weiter.
Das nicht-lineare Erzählen betrifft übrigens nicht nur Texte mit ihren Verlinkungen. Auch bei Videos und Filmen, die traditionell noch in linearer Form aufgenommen werden, gibt es seit längerem erste Experimente zur nicht-linearen Struktur. Die technische Entwicklung geht dahin, wichtige Stationen in Bewegtbildern als Ankerpunkte zu hinterlegen, die der Betrachter über ein Menü in wenigen Schritten aufrufen kann. Nach dem Hypertext kommt jetzt das Hypervideo.
Wichtig: Der rote Faden
Dem Autor einer nicht-linear angelegten Geschichte muss bewusst sein, dass der User eine ganz eigene Reihenfolge wählen kann – eine feste Struktur ist nicht mehr gegeben, denn jeder Leser erzeugt sich seine eigene Struktur. Die übliche Struktur mit Anfang, Höhepunkt und Schluss löst sich auf.
Umso wichtiger ist es, einen roten Faden zu spinnen, an dem sich der Leser orientieren kann, der eine Navigation bietet. In den meisten Fällen bildet der Kern der Geschichte diesen roten Faden. Bei komplexen Geschichten ist dieser Kern womöglich nicht auf den ersten Blick sichtbar, dann bleibt nichts übrig als alle Handlungstränge und Fäden auseinanderzudröseln und den Kern herauszuschälen.
Alle anderen Handlungsstränge oder Handlungsebenen können wie bei einem Puzzle einen eigenen Baustein bilden. Die Puzzlestücke aus Haupt- und Nebensträngen ergeben zusammengesetzt das Gesamtbild. Dabei ist es egal, bei welchem Puzzlestück der Leser seine Entdeckungsreise beginnt. Idealerweise finden sich in einigen Puzzlestücken auch spielerische Elemente wie Rätsel. Oder der Leser wird vor die Aufgabe gestellt, bestimmte Gegenstände oder Informationen zu entdecken, um zusätzliche Einblicke in die Geschichte zu bekommen.
- Möchten Sie ein Beispiel? Wenn Sie die Geschichte Ihres Produktes erzählen, führen Sie den Leser auf dem Hauptstrang von der grundlegenden Idee über die weitere Entwicklung und den Bau eines Prototypen bis zum Markteintritt. Auf Nebensträngen können Sie Interviews mit dem Entwickler(team) ergänzen, über die Beschaffung der Rohmaterialien berichten, die Logistik rund um das Produkt erklären, einen Experten zu Wort kommen lassen und natürlich auch einen oder mehrere Kunden.
Wichtig ist, dass die einzelnen Nebenstränge immer zum Hauptstrang zurückführen, damit sich der Leser nicht verirrt. Falls Sie diese Geschichte noch etwas spielerischer gestalten möchten, können Sie einzelne Details aus den Nebensträngen aufgreifen und am Ende als Rätsel zusammenfassen. Sowohl Haupt- als auch Nebenstränge lassen sich über mehrere Plattformen hinweg (Website, Blog, Video, Podcast, Social-Media-Auftritte etc.) aufbereiten. Wie bei einer Schnitzeljagd könnten Sie einzelne Details über die Kanäle verteilen und einen Wettbewerb für die Leser mit Gewinnspiel für den besten Detektiv ausrichten.
Der Vorteil des nicht-linearen Erzählens liegt darin, dass jeder Leser seinen eigenen Weg durch die Geschichte hindurch entdecken kann. Wer mehr Zeit aufbringt und gerne liest, kann sich intensiver mit den Detailfragen beschäftigen. Wer weniger Zeit übrig hat, kann sich auf den Hauptstrang konzentrieren. Auf diese Weise kann sich jeder Leser je nach Interesse und Muße sein eigenes Programm zusammenstellen. Durch spielerische Elemente wird die Geschichte abwechslungsreicher, spannender und weckt die Neugierde, ähnlich wie bei einem Adventskalender: Was kommt hinter dem nächsten Türchen?
Nicht-lineares Erzählen bietet aber nicht nur Vorteile. Während lineare Texte, Fotogeschichten sowie Filme den Leser oder Zuschauer führen, fehlt diese Führung beim nicht-linearen Erzählen. Daher ist es wichtig, Lesern bzw. Zuschauern die Orientierung durch eine solide ausgearbeitete Navigation zu erleichtern, auch um ihm zu verdeutlichen, welche Elemente zum Hauptstrang gehören und welche Elemente als ergänzender Nebenstrang dienen.
- Ein weiterer Punkt, der zu bedenken wäre: Beim linearen Erzählen erleben viele Leser oder Zuschauer den Zustand des Flow oder der Immersion, das heißt sie tauchen so tief in die Geschichte ein, dass Raum und Zeit um sie herum verblassen. Die Geschichte bildet ein großes Ganzes, das (vor allem wenn es wirklich spannend ist) am Stück verschlungen wird.
Beim nicht-linearen Erzählen indessen werden die einzelnen Bestandteile der Geschichte in kleine Häppchen aufgeteilt. Der Leser oder Zuschauer wird nur in den seltensten Fällen in richtig tief in die Geschichte eintauchen, wird es an einer Stelle langweilig, so besteht die Gefahr, dass er die Geschichte nicht bis zum Ende verfolgt.
Digital Storytelling
Eigentlich ist fast jedes Erzählen außerhalb der traditionellen Buch- oder Zeitschriftenwelt ein digitales Geschichtenerzählen. Angefangen von Offline-Medien wie beispielsweise CDs und DVDs mit Texten, Audiodateien, Bildern oder Filmen bis hin zu den verschiedenen Online-Plattformen wie Social-Media-Kanälen oder Websites mit Blogs.
Der Begriff Digital Storytelling bezieht sich weniger auf die Struktur oder Elemente einer Erzählung. Stattdessen bezeichnet es das Medium oder die Medien, über die eine Geschichte verbreitet wird.
Im Gegensatz zu traditionellen Büchern oder Filmen, wo der Autor oder Erzähler in der Distanz verschwunden und nicht greifbar ist, bietet das digitale Erzählen häufig (aber nicht immer) die Möglichkeit der Interaktion zwischen dem Erzähler und seinem Publikum.
Wie diese interaktiven Möglichkeiten aussehen, hängt zum großen Teil von der Plattform bzw. der Technik ab. Auf Webseiten, Blogs und Social-Media-Kanälen können Leser ihre Fragen oder Kommentare hinterlassen, auf die wiederum der Autor seine Antwort gibt. Allerdings ist hier in der Regel kein direkter Austausch möglich, möglicherweise vergehen mehrere Tage bis auf die Frage eine Antwort kommt.
In größeren Unternehmen gibt es daher oft eigene Blog- oder Social-Media-Redaktionen, um in möglichst kurzer Zeit reagieren zu können. Für kleinere Unternehmen ist das kaum zu leisten. Den meisten Nutzern dürfte das bewusst sein, sicherheitshalber wäre empfehlenswert, bei den Infos über das Unternehmen den Hinweis einzutragen, dass es keine eigene Redaktion gibt und daher eine sofortige Antwort kaum machbar ist.
Eine weitere Möglichkeit wäre, einen Termin oder regelmäßige Zeiten festzulegen, wann ein Autor oder Verantwortlicher live erreichbar ist und im Falle von Fragen den Lesern zur Verfügung steht.
- Achten Sie bei digitalen Medien auf die Anpassbarkeit! Vom Beginn der Planung an sollten Sie die möglichen Endgeräte der Rezipienten berücksichtigen. Wird eine Website auf einem großen Bildschirm aufgerufen, so sind direkt auf den ersten Blick mehr Elemente sichtbar, als bei einer Website, die sich in der Größe anpassen kann (das nennt sich übrigens ‚responsive’) und auf einem Tablet oder Smartphone aufgerufen wird. In diesem Fall werden Elemente nicht gleichzeitig angezeigt, sondern untereinander angeordnet. Die Möglichkeiten der Interaktion zeigen sich dem Betrachter womöglich erst weiter unten und werden auf den ersten Blick überhaupt nicht wahrgenommen. Hier wäre hilfreich, die Darstellung auf den verschiedenen Medien bereits ab der Planungsphase zu beachten.
Aber: Die technische Darstellung ist nur die eine Seite der Medaille. Selbst wenn Digital Storytelling technisch perfekt aufbereitet ist, wird der Leser oder Zuschauer schnell wegklicken, wenn die Geschichte nicht an die Interessen des Lesers oder Zuschauers anknüpft. So gesehen muss die technische Darstellung nicht 100 Prozent perfekt sein. Wichtig ist der Inhalt – eine spannende oder berührende oder witzige Geschichte, die den Leser bis zum Ende interessiert.
Visual Storytelling
Was ist wichtiger: das Wort oder ein Bild? Die Redewendung „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ spricht für das Bild – wobei: kann ein Bild diese Redewendung wiedergeben? Manchmal sind die Worte eben doch wichtiger als das Bild …
Beim Visual Storytelling erzählt jedenfalls ein Bild eine Geschichte. Manchmal ist es das Bild oder das Bewegtbild allein, das eine Geschichte wiedergibt. Manchmal wird der Inhalt hauptsächlich über geschriebene oder gesprochene Worte transportiert (auch die Dialoge in einem Video sind ja Worte) und das Bild dient als Ergänzung oder Erläuterung – und vor allem um die Aufmerksamkeit des Betrachters auf diese Geschichte zu lenken! (Der Hinweis auf die Aufmerksamkeit ist bewusst mit einem Ausrufezeichen versehen, denn seit der Nutzung von Smartphones und Tablets ist unsere Welt noch bildlastiger geworden. Eine Geschichte ohne ein Bild wird fast kaum noch wahrgenommen und schafft es kaum über unsere Aufmerksamkeitsschwelle.)
Bilder können aber nicht nur die Aufmerksamkeit wecken, sondern auch Emotionen hervorrufen. Kein Wunder, dass über die Social-Media-Plattformen die Bilder niedlicher Katzen als „Katzen-Content“ so verbreitet worden sind. Es müssen aber nicht rührende oder lustige Katzen- oder Kinderbilder sein, auch viele andere Bilder eignen sich, um Emotionen zu wecken.
- Aber: Wenn das Bild nicht allein die Geschichte erzählt, sondern nur als Ergänzung zum Inhalt genutzt wird, muss das Bild auch zum Thema passen. Wenn am Anfang eines Textes das Bild von einer Hängematte unter Palmen am Strand die Sehnsucht nach Urlaub und Erholung weckt und es später im Text nur um ein neues Putzmittel geht, dann hat das Bild zwar die Aufmerksamkeit wecken können, aber die Erwartung des Leser hat sich nicht erfüllt – ruckzuck klickt sich der Leser wieder weg und zwar mit dem negativen Gefühl, auf den Arm genommen worden zu sein.
Formen von Visual Storytelling
Es sind aber nicht nur klassische Bilder (oder Filme), die das Visual Storytelling ausmachen. Insgesamt gehören dazu:
- Fotos und Videos
- Animationsfilme oder auch kurze animierte Gifs
- Comics oder Fotostorys
- interaktive Zeitleisten und interaktive Medienformate (z.B. Vorher-Nachher-Bilder bzw. dynamische Bilder)
- Grafiken/Infografiken und Piktogramme
- sowie Audio-Slideshows (mit Ton und Bildern)
Allerdings bestechen nicht alle Formen des Visual Storytelling durch echtes, emotional ansprechendes Storytelling – bei manchen steht die Information zu sehr im Vordergrund, für eine echte Geschichte bleibt kaum Platz. Eine gut gelungene Infografik mit dem Beispiel, was rund ums Jahr auf einem Erdbeerfeld passiert, finden Sie übrigens im Buch „Storytelling für Dummies“.
Data Storytelling
Wie Sie im Abschnitt über die Wirkung von Geschichten nachlesen können, fällt es unserem Gehirn leichter Geschichten abzuspeichern als nackte Zahlen, Daten, Fakten. Warum nicht das Pferd von der anderen Seite aufzäumen und die Zahlen, Daten und Fakten in Geschichten verpacken? Der Ansatz kommt aus dem Journalismus, wo bereits häufig öde statistische Daten in Geschichten „übersetzt“ werden.
Im ersten Schritt werden die gewünschten Daten gezogen, zum Beispiel aus öffentlichen Datenbanken. Diese Daten werden zunächst gefiltert, beispielsweise werden einzelne Spalten oder Zeilen in einer Tabelle gelöscht, um nebensächliche Aspekte zu entfernen und sich auf die wesentlichen Punkte der Botschaft zu konzentrieren. Die aufbereiteten Daten können anschließend visualisiert und in Geschichten verpackt werden. Auf diese Weise lassen sich Größenverhältnisse oder Zusammenhänge verdeutlichen, die zuvor im Datendschungel versteckt geblieben sind – für den Betrachter oder Leser bringt das oft einen spannenden Erkenntnisgewinn.
- Ein (fiktives) Beispiel für den journalistischen Bereich könnte sein, die Anzahl an Fahrraddiebstählen statistisch abzurufen, eventuell eine bestimmte Stadt oder einen bestimmten Stadtteil herauszufiltern und diese nüchternen Zahlen anhand eines Diebstahlopfers mit Leben zu füllen. Wenn ein Mensch erzählt, wie sehr er in diesem Stadtteil auf das Fahrrad angewiesen ist, um zur Arbeit zu kommen, und wie ärgerlich es ist, dass nun das dritte Fahrrad in zwei Jahren gestohlen worden ist, dann kann der Leser die nüchternen Daten besser verstehen und nachvollziehen.
Auch in einem Unternehmen fallen viele Daten und Zahlen an, die Sie als Ausgangsbasis für Ihr Data Storytelling nutzen können.
Daten am besten visuell und spielerisch aufbereiten
Um die Möglichkeiten des Data Storytelling gut zu nutzen empfiehlt es sich, Zahlen anschaulich darzulegen. Statt in Quadratmeter oder Hektar oder Kilometer „übersetzen“ Sie die Zahl in die Anzahl von Fußballfeldern oder in die Länge von Zugwaggons. Geht es in die Höhe oder in die Tiefe, so lässt sich eine Zahl auch „übersetzen“, indem Sie als Vergleich die Höhe des Matterhorns oder Mount Everests oder die Tiefe der Titanic-Fundstelle nehmen.
Wichtig dabei ist natürlich, den Kenntnisstand der Leser zu kennen: Einem IT-Spezialisten muss man nicht die Ziffern von Datenübertragungsraten erklären, einem Laien hingegen schon. Die anschauliche Aufbereitung von Zahlen sollten Sie daher zielgruppengerecht gestalten.
Ideal ist es, solche Daten-Geschichten grafisch gut aufzubereiten. Gerade bei Online-Medien oder mit Spiele-Apps wäre es möglich, dass Nutzer durch Scrollen oder durch Klicken die Daten interaktiv aufrufen können. Auf diese Weise wird Wissen nicht nur emotional aufbereitet, sondern auch noch spielerisch übermittelt – eine gute Voraussetzung, damit die Nutzer den Beitrag via Social Media weiterempfehlen.
Mögliche Erzählperspektiven für Data Storytelling
Wie aber lassen sich Daten aus Excel-Tabellen oder aus (Torten-, Balken-, Linien-)Diagrammen in eine Geschichte übersetzen? Ben Jones, Marketing Manager bei der Software-Firma für Datenvisualisierung Public Tableau, hat sieben mögliche Ansätze für Daten-Geschichten entwickelt:
- Change over Time: Welche Veränderung hat sich im Lauf der Zeit ergeben?
(z.B. die Anzahl der Mitarbeiter oder die Anzahl der Firmenfahrzeuge, die
Arbeitsstunden aller Mitarbeiter pro Jahr usw.) - Drill Down: hier geht es in die Tiefe bzw. vom Allgemeinen zum Speziellen: erst wird das ganze Bild gezeigt, dann geht es zu weiteren Details
(z.B. die Umsatzentwicklung der vergangenen Jahre allgemein und dann die Umsatzentwicklung einzelner Produktgruppen) - Zoom out: mit diesem Ansatz geht es umgekehrt vom Speziellen zum Allgemeinen, aus einzelnen Mosaiksteinen setzt sich ein Gesamtbild zusammen (z.B. wie die Energiekosten eines einzelnen Geräts/Fahrzeugs/o.ä. nach oben gegangen sind und wie sich parallel die Energiekosten im gesamten Unternehmen entwickelt haben)
- Kontrast: hier werden zwei oder mehrere Daten oder Datenkategorien direkt miteinander verglichen (z.B. die Entwicklung von Produkt A im Vergleich zu Produkt B)
- Intersection beschreibt den Kreuzungspunkt zweier (oder auch mehrerer) Datenlinien (z.B. während bundesweit in der Branche XYZ diese oder jene Zahl kontinuierlich abgesunken ist, konnte Ihr Unternehmen diese Zahl nach oben treiben)
- Faktoren zeigt in einem Vergleich wie mehrere Elemente zu einer Gesamtwirkung beitragen (z.B. aus welchen einzelnen Posten setzen sich Ausgaben und Kosten in einem Unternehmen zusammen, wie verläuft die Entwicklung der einzelnen Elemente in der Gesamtheit)
- Outlier erzählt die Geschichte eines oder mehrerer statistischer Ausreißer (z.B. eine Auffälligkeit in der Produktion oder im Service, jemand geht der Sache nach und findet heraus, dass ein Mitarbeiter besonders clever was-auch-immer erledigt oder eine andere Idee für einen statistischen Ausreißer könnte sein, dass die Reklamationsquote normal unter 1 Prozent liegt, aber bei einem bestimmten Abnehmer immer wieder eine Reklamation kommt und als man der Sache auf den Grund geht stellt sich heraus, dass bei der Anwendung regelmäßig etwas falsch gemacht wird)
Sie möchten sich genauer mit diesen sieben Story-Typen beschäftigen? Hier werden sie im Detail präsentiert.
Transmediales Storytelling und Story-Welten
Der Begriff transmediales Storytelling wurde 2006 geschaffen von Henry Jenkins, damals Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er prognostizierte, dass Geschichten in vielfältigen medialen Formaten nicht-linear erzählt und wieder weitererzählt würden.
Transmedia bedeutet dabei, dass jedes Medium einen eigenen Baustein oder Mosaikstein bildet und über verschiedene Kanäle verteilt wird. Jedes einzelne neue Element erweitert im Idealfall die Kerngeschichte auf spannende Weise und reichert sie an. Die „Ur-Geschichte“ bleibt im Zentrum der Storywelt und andere Geschichten docken daran an, um die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen oder verschiedene Fortsetzungen zu entwickeln und um auf diese Weise für die Rezipienten ein ganz besonderes Unterhaltungserlebnis zu schaffen.
Transmediales Storytelling schafft ein „Story-Universum“ oder eine „Story-Welt“. In vielen Storytelling-Büchern werden die Star-Wars-Filme als Beispiel genannt für ein solches Geschichten-Universum. Im Lauf der Zeit wurde mit den Star-Wars-Filmen eine eigene Welt erschaffen, mit mehreren Zeitebenen, mehreren Hauptfiguren, eigenen Handlungen. Trotz der fernen, futuristischen Welt gehören die Themen, um die es geht, zum traditionellen kulturellen Repertoire mit dem Vater-Sohn-Konflikt, Liebe und Verrat und dem großen Erzählthema Gut gegen Böse.
Die Star-Wars-Welt wurde im Lauf der Jahre in mehrere Geschichten fragmentiert und in neue Sequenzen aufgeteilt. Nach und nach sind zu den Filmen noch unabhängige Serien, Video- und Onlinespiele und Printprodukte hinzugekommen. Jede Publikation kann für sich alleine stehen, in ihrer Gesamtheit ergeben sie eine eigene Geschichtenwelt, eine Story-Welt.
Die Entwicklung eines Story-Universums wird im Buch „Storytelling für Dummies“ jedoch nicht weiter vertieft. Denn um ein solches Story-Universum auf- und auszubauen sowie auf den verschiedenen Plattformen zu verbreiten, braucht es enorme personelle und finanzielle Ressourcen – und damit gehört die Entwicklung von Story-Welten nicht unbedingt zu den alltagspraktischen Möglichkeiten für das Storytelling kleiner und mittlerer Unternehmen.
Dynamisches Storytelling
Auch dynamisches Storytelling nutzt mehrere Kanäle, um eine Geschichte zu verbreiten. Allerdings gibt es beim dynamischen Storytelling keinen festen Autor oder Redaktionsteam, stattdessen wird die Urheberschaft zur kollektiven Autorenschaft des Publikums.
Diese Entwicklung im Auge zu behalten und eventuell hin und wieder einzugreifen, setzt jedoch sehr viel zeitliche Ressourcen voraus, daher eignet sich dynamisches Storytelling ähnlich wie transmediales Storytelling weniger für den Alltag kleinerer Unternehmen. Dennoch soll es kurz vorgestellt werden, zum einen um einen vollständigen Überblick zu geben, zum anderen weil das Grundprinzip vielleicht doch zur einen oder anderen verrückten oder witzigen Aktion passen könnte.
Die Grundidee ist, dass anstelle des Unternehmens die Kunden erzählen. Entweder über das Produkt und ihre Erfahrungen damit oder indem sie selbst Geschichten rund um das Produkt entwickeln. Diese Geschichten werden über einen oder über mehrere Kanäle hinweg verbreitet. Prinzipiell sind drei Varianten oder Abstufungen möglich:
- der Autor bzw. das Unternehmen entwickelt eine initiale Geschichte und das Publikum darf den weiteren Verlauf beeinflussen oder bestimmen
- einzelne Kunden berichten ihre in sich abgeschlossene Geschichte
- die Kunden entwickeln gemeinsam in einem Kollektiv eine Geschichte
A) Sie erzählen, Ihr Publikum kann sich beteiligen
Falls Sie dynamisches Storytelling einmal ausprobieren möchten, wäre ein erster Ansatz, eine Geschichte zu entwickeln, in der mehrere Kreuzungspunkte oder Auswahlmöglichkeiten enthalten sind. Normalerweise gilt im Storytelling die Empfehlung, möglichst ehrlich und authentisch über wahre Begebenheiten zu berichten. In diesem Fall wäre es natürlich eine Ausnahme, denn eine wahre Begebenheit lässt sich nicht ernsthaft in mehreren Varianten erzählen. Das bedeutet, Sie denken sich eine fiktive Geschichte aus (und kommunizieren das auch als ausgedachte Geschichte!) und bauen hier mehrere Kreuzungspunkte ein.
An jedem Kreuzungspunkt stellen Sie eine Auswahl vor und die Leser dürfen dann entscheiden, wie die Geschichte weitergehen soll – was natürlich bei Ihnen voraussetzt, dass Sie nach jedem Kreuzungspunkt die gewünschte Variante weiterentwickeln.
B) Jeder aus dem Publikum als einzelner Autor
Diese Form des dynamischen Storytellings kennzeichnet sich dadurch, einzelne Kunden von ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichten zu lassen. Jeder Kunde erzählt (klassisch in Textform oder auch in visueller Form als Foto) seine eigene Geschichte zu dem Produkt. Wichtig dabei: Sie als Unternehmen bleiben als ordnende Instanz im Zentrum, bei Ihnen laufen alle einzelnen Fäden zusammen.
C) Ihr Publikum als ein Kollektiv von Autoren
Sehr viel spannender wird dynamisches Storytelling, wenn Kunden oder auch Interessenten gemeinsam eine Geschichte entwickeln. Die Initiative geht dabei in der Regel vom Unternehmen aus, zum Beispiel in Form eines Wettbewerbs, bei dem (möglichst viele, jedoch nicht zu viele) Teilnehmer aus dem Publikum als Autoren die Geschichte spontan weiterentwickeln.
Neben den Kunden oder Interessenten, die aktiv als Autoren mitmachen, werden sich weitere Mitleser beteiligen, indem sie Kommentare abgeben, Fragen stellen oder auch ihre Ideen einbringen – das Autorenkollektiv kann diese Ideen diskutieren und weiterentwickeln. Die Geschichte nimmt vermutlich ganz erstaunliche Wendungen und lässt sich unendlich weitererzählen, so lange jemand aus dem Publikum mitmacht.
Mit dieser Form des dynamischen Storytellings geben Sie allerdings das Drehbuch zumindest zu einem Teil aus der Hand und Ihr Publikum bestimmt, wohin die Reise geht. Durch das dynamische Storytelling können sich sehr viele spannende und witzige oder auch aberwitzige Handlungen oder Handlungsstränge entwickeln – als Unternehmen sind Sie aber nicht mehr der Autor, sondern nur noch der Initiator. Sie geben die Kontrolle ab an ein Autorenkollektiv. Die Fäden laufen nicht mehr bei Ihnen zentral zusammen, sondern es bilden sich vielleicht sogar über die verschiedenen Kanäle mehrere Fäden, die womöglich kreuz und quer versponnen werden.
Das kann gutgehen und Ihr Unternehmen oder Ihr Produkt steht in einem guten Licht da. Es kann aber auch schiefgehen und die Geschichte rund um ihr Produkt nimmt keinen guten Verlauf. Oder die Geschichte wird von den Lesern zu öde und langweilig weiterentwickelt, weil sich kein Spannungsbogen ergibt. Aus diesem Grund ist der Einsatz von Storytelling durchaus heikel, wenn Sie auf die Kontrolle verzichten und völlige Gestaltungsfreiheit geben.
Auf jeden Fall ist hierfür eine Art Krisenintervention einzuplanen, falls das Projekt eine negative Wendung nimmt und sich womöglich sogar ein sogenannter ‚Shitstorm’ in den Social-Media-Kanälen anbahnt. Allein schon wegen der personellen Kapazitäten für eine Krisenintervention rund um die Uhr dürfte dynamisches Storytelling eher für größere Unternehmen mit entsprechenden personellen Kapazitäten passen.
Eine Ausnahme könnten frisch gegründete Start-ups sein, bei denen (noch) nicht so viel auf dem Spiel steht. Schließlich könnte eine Geschichte mit positivem Verlauf sehr viel Aufmerksamkeit bringen – und die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums ist (Stichwort Aufmerksamkeitsökonomie) so ziemlich das wichtigste Kapital im Marketing.
Crossmediales Storytelling
Beim Crossmedialen Storytelling, also dem Geschichtenerzählen quer durch die Medien, wird zumeist eine lineare Geschichte erzählt, die zusätzlich in unterschiedliche Online- oder Offline-Formate übertragen wird.
Also zum Beispiel eine Erzählung in einem Magazin für Mitarbeiter oder Kunden oder im Blog, dazu die gleiche Erzählung in nur 280 Zeichen auf Twitter, vielleicht noch als Bildgeschichte, als Audiodatei oder Podcast usw. Auch hier gibt es einen Autor oder Erzähler, der die Geschichte wiedergibt.
Mit dem crossmedialen Erzählen erhalten Sie eine größere Reichweite als wenn Sie sich auf ein Medium beschränken. Je nach Zielgruppe wählen Sie den am besten geeigneten Kanal, zum Beispiel erreichen Sie Verbraucher oder Privatkunden besser über Facebook, Geschäftskunden eher über Twitter; und während die Zahl der älteren Semester auf Facebook in letzter Zeit gestiegen ist, wandern die jüngeren inzwischen schon wieder ab und nutzen lieber Instagram oder andere Kanäle.
Wichtig ist nur, dass die Kernbotschaft der Geschichte über alle Kanäle erhalten bleibt. Im Blog könnten Sie über die Schwierigkeit des Tages erzählen, als ein banales Beispiel die Geschichte wie Sie zu einem Kunden fahren wollten, jedoch trotz eingebautem Zeitpuffer durch einen Unfall und die Sperrung der Autobahn über Landstraßen schleichen mussten und wie womöglich noch andere Hindernisse in die Quere kamen, bis Sie endlich beim Kunden auf den Parkplatz fahren konnten.
Auf Twitter fehlt der Platz für diese Ausführlichkeit. Wenn Sie hier posten „Auf der Fahrt durch den Spessart ein Reh gesehen“, dann ist das jedoch eine ganz andere Geschichte und passt nicht zur Geschichte auf dem Blog. Passender wäre für die Twitter die Meldung „Abenteuerliche Anreise, aber trotz Vollsperrung der A3 und nervzehrend langsamer Fahrt über Landstraßen gut in XYZ angekommen“ oder „Kennen Sie noch die Werbung mit den Bissspuren im Lenkrad? So fühlte ich mich auf der Fahrt nach XYZ nach der Vollsperrung der A3“ oder so ähnlich.